Im Juni stellte das Literaturhaus den Roman „Im Norden der Dämmerung“ von Nuruddin Farah vor. Ilija Trojanow, der den Autor persönlich kennt, moderierte den Abend, las Auszüge aus dem Buch und plauderte mit dem Autor, der per Videokonferenz zugeschaltet war. Es war ein kurzweiliger und spannender Abend, der mich auf das Buch neugierig machte. Weil die Buchhandlung im Literaturhaus schon zu hatte, habe ich mir das Buch dann in der Mörike-Buchhandlung meines Vertrauens bestellt – im englischen Original, wenn ich schon mal dabei war. Der Stoff hat es in sich: im Zentrum steht ein somalisches Ehepaar – Gacalo und Mugdi- , das seit Jahren in Norwegen lebt, beruflich erfolgreich, weltoffen, säkular. Der Sohn aus diesem Haus war in den Islamismus abgedriftet, in den „heiligen“ Krieg gezogen und hat sich in die Luft gesprengt. Plötzlich erscheint seine Witwe auf der Bildfläche, samt zwei Kindern aus einer früheren Beziehung. Die Schwiegereltern holen alle drei unter großem Aufwand nach Norwegen, wo die Schwiegertochter beharrlich jegliche Integration verweigert und stattdessen versucht, ihren Steinzeitislam in Oslo auszuleben; bald ist sie mit einem Geistlichen verheiratet, der kurz darauf wegen Terrorunterstützung ins Gefängnis muss. Die beiden Kinder lehnen sich behutsam gegen ihre Mutter auf und versuchen, die Freiheit ihres Gastlandes zu ihrem besten Nutzen zu gebrauchen, ohne ihre Herkunft zu verleugnen oder ihre Mutter allzu sehr zu brüskieren. Ergänzt wird das Personal der Geschichte durch eine erwachsene Tochter mit lotterlichem Noch-Ehemann, die gerade ein Kind bekommt sowie durch diverse somalische und norwegische Freund*innen.
Aus dieser Konstellation hätte man ein großartiges Buch machen können; gelungen ist das leider nur in Ansätzen. Ein positives Beispiel ist die Episode, in der die männliche Hauptfigur im Supermarkt an der Kasse steht, als gerade ein Bericht über einen islamistischen Anschlag über den Laden-Fernseher läuft. Die Gefühlswelt des Mannes in dieser Episode und die Reaktionen anderer Käufer sind für mich das Highlight des Buches. Auch einen Nebenstrang fand ich interessant: Mugdi arbeitet an einer Übersetzung eines norwegischen Werks in’s Somalische. Es geht um norwegische Auswanderer, die in einer gar nicht so fernen Vergangenheit gezwungen waren, ihr Glück in Nordamerika zu suchen und dort mit ähnlichen Vorbehalten zu tun hatten, die heute gegen sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge vorgebracht werden.
Und was ist jetzt an dem Buch so schlimm? Es sind die Sprache und der Erzählstil. Der allwissende Autor wird nicht müde, dem tumben Leser mit umständlichen Relativsätzen zu erklären, was gerade in den denkenden/sprechenden/handelnden Personen vorgeht. Dazu gibt es eine Anzahl toter Nebengeleise, auf denen Farah rote Heringe parkt. Die Schwangerschaft der oben erwähnten Tochter der Hauptfiguren verläuft schwierig, sie wechselt Land und ärztliche Betreuung, erleidet Komplikationen, aber am Ende bringt sie ein gesundes Kind zur Welt und ist wohlauf. Das Ganze spielt sich neben der eigentlichen Handlung ab und hat keinerlei Einfluss auf deren Fortgang. Was will uns der Dichter damit sagen? Dass er, obwohl muslimisch erzogen, mitbekommen hat, welch Scheißjob das Kinderkriegen ist? In diesem Zusammenhang steht auch der sprachlich schrecklichste Satz des ganzen Buches. Auf die Frage ihrer Mutter, ob sie eine Periduralanästhesie erwäge, antwortet die Schwangere: Unter Abwägung aller Informationen, die ich darüber erhalten habe, sowie auf Basis der Gespräche mit meiner Geburtshelferin, ziehe ich das derzeit nicht in Betracht. (Aus dem Gedächtnis zitiert). Und so klingen unerträglich viele der Dialoge. Die sprechenden Personen sind meist miteinander verwandt und eng vertraut, viele Situationen sind hoch emotional, aber die Dialoge lesen sich wie vorbereitete Verlautbarungen der Ortsuntergruppe des Zentralkomites der kommunistischen Partei von Krasnagornien.
Ich habe das Buch trotzdem zu Ende gelesen, weil mich die Geschichte fasziniert hat. Ich habe selbst Migrationserfahrung und kenne einige der beschriebenen Spannungen entweder aus eigener Anschauung oder aus dem engsten Verwandten- und Freundeskreis. Aber den Autor habe ich in mehreren Sprachen verflucht.
Nuruddin Farah: North of Dawn
Riverhead Books, New York, 2018