Kleine Fluchten

(Kurzfassung und Fotos am Ende)

So spät wie dieses Jahr war ich noch selten dran mit Geburtstagsschwimmen – jetzt konnte ich es gerade noch in den August reinquetschen. Vorsicht, Flachwitz: Wie geht Geburtstagsschwimmen? Gar nicht, es schwimmt! Und zwar so viele Hektometer, wie ich in dem Jahr alt wurde. (Ein Hektometer ist so was Ähnliches wie ein Hektoliter, nur in länglich. Also ein- statt dreidimensional). In den letzten Jahren bin ich immer von Remseck zur Freibadgaststätte geschwommen, mal mit Katja, mal mit Martin und/oder Detlev. Dieses Jahr wollte ich es im Oberlauf des Neckar versuchen, ohne Schiffsverkehr und mit etwas transparenterem Wasser. Und irgendwie war mir nicht nach Gesellschaft.

Vor ein paar Wochen war ich bei Anne Klatt in Tübingen-Lustnau zum Tanzworkshop, da sind wir nachmittags in den Fluss gesprungen. Genau da wollte ich starten. Und weil der Urlaub dieses Jahr Corona zum Opfer gefallen ist (nach sechs Monaten habe ich mir gestern mit Hilfe einer Anwältin die Erstattung der Ticketkosten im gerichtlichen Mahnverfahren erstritten), wollte ich einen Kurztrip daraus machen (nach dem Ausflug zum Bodensee): zwei Tage auf gut Glück den Neckar runter. Am Mittwoch packte ich meine sieben Zwetschgen in den großen Sack von Chillswim. Die Million-Dollar-Frage war: Neo mitnehmen oder nicht? Zwei Wochen vorher, während der Hitzewelle, wäre die Antwort klar gewesen. Diese Woche vermeldete die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg eine Wassertemperatur von knapp 20 Grad. Das ist eigentlich beinahe lauschig, kann aber über die Zeit ganz schön zehren. Am Ende zog ich ohne Gummi los.

Donnerstag kurz nach Mitternacht grölte der Wecker (6 Uhr 30). Ich mümmelte eine Scheibe Toast und packte die letzten Utensilien nach dem Matrjoschka-Prinzip ein. Handy in den Ziplock-Beutel, diesen in den Schwimmsack und selbigen in ein Tragenetz. In Tübingen gönnte ich mir gegen 10 Uhr ein zweites Frühstück und wanderte hinaus nach Lustnau. Hinter dem Stauwehr wollte ich einsteigen. Die Stauwehre hatte ich aus den Luftbildern von Google Maps verortet und in meine Radwanderkarte eingezeichnet; auf der hatte ich auch Kilometermarken in den Fluss gekringelt. Rund 30 Kilometer bis Nürtingen hatte ich so vorbereitet, die Kartenabschnitte so klein wie möglich zusammengepuzzelt und laminiert. Das ergab ein Teil von etwas mehr als DIN A6, das ich an den Schwimmsack hängen konnte.

Nach dem Wehr kam noch eine flache Wildwasserpassage, an der spazierte ich vorbei und suchte mir einen gemütlichen Einstieg. Im dritten Anlauf war alles im Sack drin, was hinein gehörte (auch die Brille) und alles draußen, was ich in der nächsten Stunde brauchen würde. Ich verschloss den Sack und blies die Lufttaschen auf. Fotoapparat nebst Spiralkabel und Flusskarte hingen außen am Griff. Langsam stieg ich in’s Wasser, das beim Reingehen schon ein wenig frisch war. Die nächste halbe Stunde war reines Genuss-Schwimmen. Die Temperatur angenehm, das Wasser klar und gerade tief genug zum Schwimmen, ich konnte mich aber zum Fotografieren auch gemütlich hinstellen. Der Grund bestand aus großen, bemoosten Felsblöcken, über denen kleine Fische hin und her schossen, ab und zu schwang eine Wasserpflanze in der Strömung. Auf den ersten hundert Metern hatte ich noch einen Linksdrall, dann fand ich meinen Weg und schwamm schön geradeaus durch eine wunderbare Allee aus alten hohen Bäumen an beiden Ufern.

Nach knapp drei Kilometern sah ich das nächste Wehr vor mir, furchteinflößend beschildert. Zu meiner Erleichterung wie Verwunderung nahm die Strömung hier ab, das Wasser stand beinahe. So konnte ich nach einem Ausstieg suchen, ohne Panik, in die große Turbine gezogen zu werden. Inzwischen war ich doch ein wenig ausgekühlt, ich zitterte leicht und hatte taube Finger. Auch mental war ich zu dieser Zeit ziemlich grobmotorisch unterwegs. Einen gemütlichen Ausstieg fand ich nicht, zunehmend hektisch schwamm ich hin und her und kämpfte mich schließlich durch Gebüsch den Uferdamm hoch, den Schwimmsack hinter mir her schleifend. Auf einem Trampelpfad umging ich das Wehr und stapfte noch eine Weile am Neckar entlang. Gleich hinter dem Wehr war zu wenig Wasser, danach war das Ufer zu hoch und steil, um ungefährdet einzusteigen. Schließlich musste ich noch ein Trinkwassersperrgebiet der Stadtwerke Tübingen umwandern. Immerhin war ich wieder gut aufgewärmt und ausgeruht, als ich erneut ins Wasser stieg. An Kirchentellinsfurt vorbei ging es auf eine lange Gerade. Die Vegetation links und rechts sah hier mehr nach Urwald aus, als nach einer ordentlich-schwäbischen Allee. Sogar tote Baumstämme lagen im Wasser – hier hatte lange niemand gekehrt! Wieder kam ich knapp drei Kilometer voran, bis mich das nächste Stauwehr ausbremste. Diesmal war der Ausstieg noch dramatischer. Das Ufer war glatt, steil und rutschig, das vertrocknete Gestrüpp bot keinen Halt. Beim dritten Versuch fand ich eine Stelle mit einem Tritt auf halber Höhe und kämpfte mich hoch.

Laut meiner Uhr hatte ich bis dahin 57 von 60 Hektometern geschafft, das erste Etappenziel lag in greifbarer Nähe. Leider wurde ich dann von einem Zaun ausgebremst, der die Landzunge zwischen Neckar und Baggersee komplett versperrte. In den Fluss kam ich hier auch nicht, zu steil und voll Gestrüpp war hier das Ufer. Ich setzte mich erst mal hin und mümmelte die Käsesemmel, die ich morgens am Bahnhof gekauft und in einen Ziplock-Beutel gepackt hatte. Als Dessert gab es noch 1-2 Mini-Snickers aus einem anderen Ziplock-Beutel. Ich studierte meine Karten und sah, dass es im näheren Umkreis einige Käffer gab, aber ohne Bahnanschluss. So oder so hätte ich mehrere Kilometer hatschen müssen, um in eins davon zu gelangen. Und ohne Neo wollte ich nicht noch ein paar Stunden schwimmen – schon gar nicht noch einen weiteren Tag lang. Ziemlich frustriert zog ich mich um, packte meinen Krempel in den Beutel und wanderte zurück nach Tübingen. Heute, in aller Ruhe am Rechner sitzend, sehe ich natürlich auf Anhieb, wie ich hätte weiter schwimmen können…

Vom Kirchentellinsfurter Baggersee nach Tübingen führt ein nagelneuer Fuß-/Radweg, der einem Ludwigsburger Schlagloch-Radler die Tränen des ehrlichen Neids in die Augen treibt. Brav und gesittet wanderte ich am äußersten rechten Rand, denn der Radverkehr war beeindruckend. Rennradler, Ausflügler aller Art, mit und ohne Elektrik, ein Triathlet mit Scheibe – es ging zu wie auf der A8 vor Rosenheim. Kurz vor vier war ich wieder in Lustnau. Hier wollte ich die 60 Hektometer vollmachen und noch ein Stück den Neckar hochschwimmen. Leider kriegte meine Uhr hier den Schluckauf. Hatte sie die erste Gehpause noch korrekt ausgeblendet, so sprang sie jetzt von 5.700 auf 6.400 Meter. Hektisch stoppte ich sie und vermaß den letzten Abschnitt separat. Deshalb gibt es auch kein Foto mit der mythischen 60 auf der Anzeige. Das ist aber egal, denn die letzten Meter waren wieder ein reiner Genuss. Gegen die Strömung, wieder in Begleitung unzähliger kleiner Fische, über grünbewachsene Felsen schwamm ich bis zum Ruderclub. Dort stieg ich genau rechtzeitig aus, bevor mehrere Doppelvierer das Wasser unsicher machten. Drei Stunden später verdarb ich dem Junior den Abend: statt Pizza vom Lieferdienst gab es Spaghetti Carbonara.

Für alle, die nur das glauben, was auf Strava steht:

Teil 1
Teil 2

P.S. Diesen Artikel habe ich erst hinterher gelesen.

Und hier die Fotos:

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Wie kann man ein so gutes Buch so miserabel schreiben?

Im Juni stellte das Literaturhaus den Roman „Im Norden der Dämmerung“ von Nuruddin Farah vor. Ilija Trojanow, der den Autor persönlich kennt, moderierte den Abend, las Auszüge aus dem Buch und plauderte mit dem Autor, der per Videokonferenz zugeschaltet war. Es war ein kurzweiliger und spannender Abend, der mich auf das Buch neugierig machte. Weil die Buchhandlung im Literaturhaus schon zu hatte, habe ich mir das Buch dann  in der Mörike-Buchhandlung meines Vertrauens bestellt – im englischen Original, wenn ich schon mal dabei war. Der Stoff hat es in sich: im Zentrum steht ein somalisches Ehepaar – Gacalo und Mugdi- , das seit Jahren in Norwegen lebt, beruflich erfolgreich, weltoffen, säkular. Der Sohn aus diesem Haus war in den Islamismus abgedriftet, in den „heiligen“ Krieg gezogen und hat sich in die Luft gesprengt. Plötzlich erscheint seine Witwe auf der Bildfläche, samt zwei Kindern aus einer früheren Beziehung. Die Schwiegereltern holen alle drei unter großem Aufwand nach Norwegen, wo die Schwiegertochter beharrlich jegliche Integration verweigert und stattdessen versucht, ihren Steinzeitislam in Oslo auszuleben; bald ist sie mit einem Geistlichen verheiratet, der kurz darauf wegen Terrorunterstützung ins Gefängnis muss. Die beiden Kinder lehnen sich behutsam gegen ihre Mutter auf und versuchen, die Freiheit ihres Gastlandes zu ihrem besten Nutzen zu gebrauchen, ohne ihre Herkunft zu verleugnen oder ihre Mutter allzu sehr zu brüskieren. Ergänzt wird das Personal der Geschichte durch eine erwachsene Tochter mit lotterlichem Noch-Ehemann, die gerade ein Kind bekommt sowie durch diverse somalische und norwegische Freund*innen.

Aus dieser Konstellation hätte man ein großartiges Buch machen können; gelungen ist das leider nur in Ansätzen. Ein positives Beispiel ist die Episode, in der die männliche Hauptfigur im Supermarkt an der Kasse steht, als gerade ein Bericht über einen islamistischen Anschlag über den Laden-Fernseher läuft. Die Gefühlswelt des Mannes in dieser Episode und die Reaktionen anderer Käufer sind für mich das Highlight des Buches. Auch einen Nebenstrang fand ich interessant: Mugdi arbeitet an einer Übersetzung eines norwegischen Werks in’s Somalische. Es geht um norwegische Auswanderer, die in einer gar nicht so fernen Vergangenheit gezwungen waren, ihr Glück in Nordamerika zu suchen und dort mit ähnlichen Vorbehalten zu tun hatten, die heute gegen sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge vorgebracht werden.

Und was ist jetzt an dem Buch so schlimm? Es sind die Sprache und der Erzählstil. Der allwissende Autor wird nicht müde, dem tumben Leser mit umständlichen Relativsätzen zu erklären, was gerade in den denkenden/sprechenden/handelnden Personen vorgeht. Dazu gibt es eine Anzahl toter Nebengeleise, auf denen Farah rote Heringe parkt. Die Schwangerschaft der oben erwähnten Tochter der Hauptfiguren verläuft schwierig, sie wechselt Land und ärztliche Betreuung, erleidet Komplikationen, aber am Ende bringt sie ein gesundes Kind zur Welt und ist wohlauf. Das Ganze spielt sich neben der eigentlichen Handlung ab und hat keinerlei Einfluss auf deren Fortgang. Was will uns der Dichter damit sagen? Dass er, obwohl muslimisch erzogen, mitbekommen hat, welch Scheißjob das Kinderkriegen ist? In diesem Zusammenhang steht auch der sprachlich schrecklichste Satz des ganzen Buches. Auf die Frage ihrer Mutter, ob sie eine Periduralanästhesie erwäge, antwortet die Schwangere: Unter Abwägung aller Informationen, die ich darüber erhalten habe, sowie auf Basis der Gespräche mit meiner Geburtshelferin, ziehe ich das derzeit nicht in Betracht. (Aus dem Gedächtnis zitiert). Und so klingen unerträglich viele der Dialoge. Die sprechenden Personen sind meist miteinander verwandt und eng vertraut, viele Situationen sind hoch emotional, aber die Dialoge lesen sich wie vorbereitete Verlautbarungen der Ortsuntergruppe des Zentralkomites der kommunistischen Partei von Krasnagornien.

Ich habe das Buch trotzdem zu Ende gelesen, weil mich die Geschichte fasziniert hat. Ich habe selbst Migrationserfahrung und kenne einige der beschriebenen Spannungen entweder aus eigener Anschauung oder aus dem engsten Verwandten- und Freundeskreis. Aber den Autor habe ich in mehreren Sprachen verflucht.

Nuruddin Farah: North of Dawn
Riverhead Books, New York, 2018

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Vom Bodensee in drei Dimensionen

Man kommt viel rum. Am Wochenende war ich noch in Tübingen beim Tanzworkshop bei Anne Klatt. Mit der Tanzerei ist das ja so eine Sache. Ich belächle das gern, aber ab und zu mal mache ich da begeistert mit. Und Anne macht das so gut, dass ich den inneren Buchhalter auch mal Soll und Haben sein lasse und den inneren Faun entfessle.

Die gute Truppe trug natürlich auch dazu bei, dass die zwei Tage ein tolles Erlebnis waren. Danke an Christine, Chloe, Anne, Emilien und Jörg! Immerhin habe ich mir diesmal keine Rippen geknackst wie damals beim Tanz im Museum 😉

Beim samstagabendlichen Schwimmen im Neckar hatte ich dummerweise keinen Foto dabei, dafür habe ich Sonntag früh noch Fische abgelichtet.

Sonntag Mittag musste ich dringend los, ich hatte ein Date in der Kunsthalle. Die Ausstellung über Daniel Knorr ist der Hammer! Das Date lief leider nicht so prickelnd. Die gute Frau hatte zwar auf der Dating-Website mit den 11 Minuten behauptet, sie hätte „Lust auf Leben zu zweit“, aber der Umstand, dass man dazu jemand Fremden kennenlernen muss, hat sie nach eigener Aussage überfordert… oder aber ich als Männchen verstehe das einfach nicht. Trotz gut zwei Jahren im Museum, wo Frauenverstehen zu den Grundvoraussetzungen zählt!

Womit wir endlich beim Thema wären: dem Museum Haus Dix auf der Höri. Seit der Eröffnung 2014 leitet Gabi diese Haus mit Herzblut und Leidenschaft. Wenn man mit ihr durch die Räume geht, könnte man sie für ein Mitglied der Familie Dix halten, so sehr ist sie mit allen Details vertraut. Dabei teilt sie das ganz normale Schicksal der Betriebsstätten – egal ob in der Kultur oder in der Industrie – , die weitab von der Zentrale operieren. Im HQ gibt es immer gaaanz wichtige Themen, ständig lodern neue Feuer, die gelöscht werden wollen und dass es in 250 km Entfernung auch noch Menschen mit Sorgen und Bedürfnissen gibt, geht gerne mal unter. Jetzt steht Gabi kurz vor der Rente und sorgt sich um die Zukunft des Haus Dix. Die Saison 2021 wird sie noch gewohnt souverän leiten, danach möchte sie kürzer treten. Und hier komme ich ins Spiel. Es gibt für Gabis Nachfolge schlicht keine idealere Besetzung als meinereinen! Höri, Haus Dix, Kunstmuseum – ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als dort zu arbeiten. Mit Leidenschaft und Akribie. Stuttgart kann praktisch nicht anders, als mir die Füße zu küssen, dass ich diese Aufgabe übernehme. Dass das Geld kostet, wird man wohl verkraften 😉

Dienstag habe ich das Fahrrad in den Zug gepackt und bin hinunter gefahren, um die Einzelheiten zu besprechen. Die Linie wird von der SBB betrieben, die ein recht hübsches Muster auf ihren Sitzen hat:

Dieses Muster habe ich schon mal zu einem Pullover verwurstet, mit bis zu 30 Farbwechseln pro Reihe eine üble Fusselei. Für Pulli war das diesmal viel zu warm, deshalb ein altes Foto aus Stuttgart (von einem anderen fruchtlosen date):

In Singen habe ich mir noch schön das Schienbein angeschlagen, als ich das vollbepackte Rad aus dem Zug auf den Bahnsteig gewuchtet habe, der irgendwie einen guten Meter zu tief gebaut war. Dafür ging es im Seehasen ebenerdig rein und raus. Ab Radolfzell bin ich dann geradelt. Das Geschäftliche war schnell besprochen und ich bin noch durch Haus und Garten gewandert.

Hier noch Fotos aus dem Garten, um den ich mich auch geflissentlich kümmern werde:

Und wenn das nicht reicht, schau ich halt mal bei Hesse vorbei.

Übernachtet habe ich auf dem Campingplatz Höristrand, natürlich nicht, ohne eine Runde im See zu drehen.

Nach dem Abendessen mit gefiederter Gesellschaft gab es noch einen Schlummertrunk.

Die Nacht war zelt-typisch lausig. Irgendwie verstärkt so ein Zelt weit entfernte Geräusche besser, als die griechischen Theater das je konnten. Dass es regnete, war ja zu erwarten. Mit Sonnenaufgang wurde ich – nun ja, nicht wirklich wach, aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Das Zelt war innen und außen nass und ich hatte auch keine Chance, das vor der Abfahrt trocken zu kriegen. Zum Trost bin ich noch eine Runde geschwommen.

Irgendwie habe ich noch die Zeit rumgekriegt, bis die Rezeption aufmachte und ich auschecken konnte. Dann ging ich auf die abenteuerliche Heimreise. 186 Kilometer hatte cycletravel ausgerechnet, für die ich zwei Tage vorgesehen hatte, mit der bewährten Taktik „am ersten Tag so weit wie irgend möglich und am zweiten Tag den Rest“. Mit dem Abstecher zum Hotel (wo das Zelt trocknen durfte) wurden dann 200 km mit 2.300 HM daraus. Wohlweislich hatte ich (für meine Verhältnisse) recht wenig Gepäck dabei. Die Höhenmeter machten mir gut zu schaffen, das kleine Blatt meiner 3fach-Kurbel wurde noch nie so viel benutzt… Mein Element Bolt hat sich auf dieser Reise hervorragend bewährt. Ich bin ja ein hoffnungloser Orientierungs-Legastheniker, aber dieses Gerät hat mich zuverlässig heim gelotst. Donnerstag Mittag gab es noch eine Stärkung im Kap (leider war meine Lieblingskellnerin nicht da, aber das hätte ich theoretisch wissen können – nett bedient wurde ich trotzdem) und kurz darauf war ich zu hause und habe erst mal 3 Stunden geschlafen. Dass ich schon lange keine Fahrten über 2 Stunden mehr mache, habe ich deutlich gespürt, sowohl beim Stoffwechsel als auch am zarten Popöchen (ich hatte natürlich verpennt, die Creme mitzunehmen).

Das Fazit der Reise:

  • Die Arbeit im Haus Dix wäre ein Traum.
  • Kuchen hilft über Regen und Höhenmeter hinweg.
  • Radler sind gut für Radler.

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Nie endende Pubertät

Seitdem ich wieder laufe – und das meist auf der gleichen Strecke – gebe ich mir gerne ein Hörbuch aufs Ohr. Gerne auch ein längeres, damit ich auch was davon habe. Ein gutes Hörbuch zu finden ist gar nicht so einfach. Meist findet man in den Regalen der Buchhandlungen Thriller oder eher leichte aktuelle Bestseller; für einen narzisstischen Intellektuellen wie mich kommt so etwas natürlich nicht in Frage. „Federball“ von John leCarré war ein willkommenes Highlight: auf 8 CDs wird der ganze Carré-Kosmos mit viel Liebe zum Detail zelebriert, mit der ganzen Ménagerie liebenswert kruder Psychopathen, die der Meister des Spionageromans in seinem kranken Hirn ausgebrütet hat. Seltsam nur der deutsche Titel des Buchs: alle, die diesen Sport betreiben, nennen ihn ausschließlich Badminton; auch im Roman wird immer nur dieser Begriff verwendet. Bei der Suche nach dem Englischen Original sind die Buchhändlerin meines Vertrauens und ich an unsere Grenzen gestoßen. Sucht selbst, wer mir als Erste*r die richtige Lösung schickt, darf mit mir zum Geburtstagsschwimmen 😉

Aber eigentlich wollte ich ja über Kirchhoffs „Widerkehr“ lästern. Dieses Buch beginnt langsam und angenehm und lullte mich zunächst auf tückische Weise ein. Ein alter Mann (noch (!) älter als ich) blickt auf sein langes Leben zurück, das ihm mancherlei kleine und große Schicksalsschläge verpasst hat. Auf gar wundersame Weise tritt eine geheimnissvolle Frau in selbiges und in seine Wohnung und bevor man sich’s versieht, wohnt dem Anfang ein Zauber inne und die beiden fahren im Cabrio nach Süditalien.

Schon recht bald hatte ich ein irritierendes Déjà lu. Bzw. Déjà entendu, es war ja ein Hörbuch. Ich konnte mich einfach viel zu gut in diesen alten Sack hineinversetzen. Dieses Gefühl hatte ich zuletzt bei der Schullektüre von Salingers „Catcher in the Rye“. Mit billigen Taschenspielertricks zupft der Autor an den banalen Saiten der waidwunden Knabenseele, einstmals des 16-jährigen Holden Caulfield, nunmehr des rund 50 Jahre älteren Reither, der in dem halben Jahrhundert, das ihn vom Bett im Roggenfeld trennt, nicht wirklich gereift ist. Sein Frauenbild ist erschreckend antiquiert, die Frauen im Roman werden überhöht oder karikiert, ihre Rolle ist es, „den Mann“ zu erlösen oder in’s Verderben zu stürzen. Das Peinlichste an der ganzen Affaire: damit hat er an die banalen Saiten meines alten Herzens gerührt… Als typischer Vertreter meines Geschlechts träume ich natürlich in aller Heimlichkeit (diesen Blog liest ja sowieso niemand) davon, dass eine mysteriöse Frau – an den Prüfungen des Schicksals gereift, aber immer noch über die Maßen schön -, in mein Leben tritt und es wieder mit Zauber füllt, bis dass die Demenz ihren gnädigen Schleier über Alles legt. Und das, ohne dass ich einen Finger dafür zu rühren brauche. Mit Details dieser feenhaften Erscheinung verschont uns Kirchhoff, so kann sich jedes Spät-Pubertier seine eigene Göttin zusammenfantasieren. Während Kirchhoff uns an allen noch so seichten Gedankengängen seines Helden teilhaben lässt (der auch noch ein edelmütiger Verleger war, der weder Kinder-, Koch- noch Reisebücher in seiner Verlagsbuchhandlung geduldet hatte und kurz vor dem Rentenalter von den bösen Onlinehändlern wirtschaftlich gemeuchelt worden war), bleibt die Innenwelt der Frau – die immerhin die ganze Handlung vorantreibt – im Nebel verborgen. Warum eine so edle Gestalt ausgerechnet den Jammerlappen Reither für eine spontane Italienreise in Beschlag nimmt, bleibt ein Rätsel. So haben wir Mit-Lappen die Hoffnung, dass auch uns Solches noch widerfahren könne. Am Ende geht natürlich alles den Bach runter, wie in einem Shakespeare-Drama, in dem von Anfang an die Sterne über Kreuz standen.

So weit, so banal und Herz ergreifend. Was mich aber am Meisten geärgert hat, war die literarische Hütchenspielernummer, die Kirchhoff mit ätzender Regelmäßigkeit abzieht. Alle paar Minuten gebraucht er einen Ausdruck, der seinen Verleger-Helden innehalten lässt, weil der seine Autoren für genau diese Ausdrucksweise an’s Kreuz genagelt hätte. Da räsonniert dann der Erzählte darüber, dass sein Leben wie eine Erzählung an seinem Ohr vorbeizieht und unterzieht selbige unnachgiebiger Kritik, wenn es gar zu sentimental, banal oder gefühlig wird. Aber, oh Wunder: er vergibt seinem Autor! In jedem anderen Buch wäre diese oder jene Redewendung unerträglich gewesen, aber an dieser Stelle ist sie einzig zutreffend! So feiert Kirchhoff sich selbst als Sprachgiganten, der in meisterlicher Manier auch mit schlechtem Stil große Literatur zaubert. Und das auch noch selbstgefällig kommentiert. Den Höhepunkt (!) erreicht dieses Stilmittel, als es zwischen den Hauptfiguren zum Koitus kommt. Da belehrt uns Kirchhoff auf dem Umweg über seine Verleger-Romanfigur erst darüber, dass Sexszenen in der Literatur von jeher ein Kamikaze-Unterfangen sind, dann zitiert er aus einem fiktiven Buch, das Reither mal gelesen hat, eine solche Szene, die er dann für so genial befindet, dass er die gleich mitbenutzt. Wenn’s also peinlich gewesen sein sollte, war zumindest nicht Kirchhoff schuld, sondern eine von ihm erfundene Autorin. Über den tatsächlichen Ablauf der Liebesnacht breitet er das Plumeau des Schweigens. Wobei mich schon interessiert hätte, wie ein Paar, das noch (!) älter ist als ich und sich gerade mal seit zwei Tagen kennt, auf Anhieb für beide befriedigenden Sex hat, während nebendran, nur durch einen Vorhang getrennt, ein fremdes junges Mädchen auf dem Sofa schläft. Aber vielleicht ist ja auch das Teil des Zaubers, den wir uns alle selbst wirken müssen.

 

John leCarré: Federball.
Hörbuch Hamburg

Bodo Kirchhoff: Widerfahrnis.
Frankfurter Verlagsanstalt 2016

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Vermes revisited

Vor einigen Jahren habe ich Vermes‘ Hitler-Buch gnadenlos verrissen – was dessen Absatz keine merkliche Delle verpasst hat. An jenem Buch störte mich vor allem der Ansatz, mit einer faktisch unmöglichen Voraussetzung eine Geschichte zu schreiben, die von vornherein keine Auflösung finden kann. Nicht, dass jede Geschichte am Ende aufgelöst werden muss; das echte Leben folgt keiner Dramaturgie und Karma findet man auch immer erst hinterher. Das Menschlein, inner- und außerhalb eines Buches, sucht halt verzweifelt nach einem Sinn, den sein Leben haben könnte, zur Not erfindet es sich einen (vgl. Monty Python). Dazu braucht man aber mehr als einen Siemens Lufthaken als Angelpunkt.

Nun hat Vermes ein neues Buch herausgebracht: Die Hungrigen und die Satten. Auf der Suche nach umfangreichen Hörbüchern für mein Lauftraining bin ich darauf gestoßen und habe es mir aufs Ohr gepackt. Bei den ersten Kapiteln war ich noch skeptisch. Die Geschichte beginnt im hoffnungslosen Elend eines riesigen Flüchtlingslagers in Nordafrika. Flüchtlingselend als Hintergrund für Unterhaltung? Das kam mir arg frivol vor. Ich blieb aber dran, vor allem wegen Nadeche Hackenbusch, der Moderatorin eines Privatsenders, die sich nach eigenen Angaben „aus kleinen Behältnissen“ zum Star einer reality-soap hochgearbeitet hat (oder so was in der Art). Nadeche und der ganze Tross des TV-Senders werden mit hingebungsvoller Bosheit in ihrer ganzen selbstverliebten Dummheit vorgeführt und Christoph Maria Herbst liest das Ganze meisterhaft.

Schnellvorlauf: der Sender schickt Nadeche für eine Reportage in das Flüchtlingslager und castet vorher telegene Menschen, denen man vor laufender Kamera Gutes tun kann. Dabei tut sich ein junger Mann durch sybillinische Sprüche hervor, z.B. dass dem Löwen, der dich jagt, dein Name egal sei. (Ich zitiere aus dem Gedächtnis, beim Hörbuch kann man leider schlecht nachschlagen). Schnell hat er die Bezeichnung „Löwenmann“ weg, aus der spontan Lionel wird. Wie er wirklich heißt, erfahren wir nicht. Nadeche wird von den Zuständen im Lager so überwältigt, dass sie allen Ernstes und nicht nur für die Quote helfen will. Lionel ist immer an ihrer Seite. Noch-schnellerer Vorlauf: 150.000 Menschen aus dem Lager brechen zu Fuß auf nach Deutschland, generalstabsmäßig versorgt von einer Schleuserorganisation, die mit einer Flotte LKW jeden Tag Lebensmittel und Wasser heranschafft sowie Generatoren und WLAN-Posten, damit die Flüchtenden ihren Obolus von 5 Dollar pro Tag per Handy auch entrichten können. Selbst Dixi-Klos werden herangekarrt. Das TV-Team immer mittendrin. Nadeche und Lionel werden ein Paar und der Löwenmann gewöhnt sich schnell daran „mit deutscher Gründlichkeit geküsst“ zu werden.

Derweil spitzt sich die Lage in Deutschland zu. Nachdem der Treck der Wanderer jede Grenze problemlos überquert (weil die jeweilige Lokalregierung darauf vertraut, dass er bald wieder weg ist), muss sich die Politik damit zurecht finden, dass die Menschen tatsächlich bald an der Deutschen Grenze stehen. Man erwägt allen Ernstes, sie mit Waffengewalt zu stoppen. Die Debatten darüber gehören für mich zum besten Teil des Buches. Der Innenminister Joseph Leubl (für den alleine der Sprecher Herbst einen Oskar verdient hätte), prescht an einem Punkt vor mit der Ansage, man werde die Menschen in’s Land lassen. In einer hochemotionalen Ansprache legt er schlüssig dar, dass es keine moralische Alternative dazu gebe und zeigt ganz nebenher auf, wie Europa mit einer gezielten Migrationspolitik seine demographischen und wirtschaftlichen Probleme lösen kann.

Das wird in der Bevölkerung nicht gern gehört. Rechte Gruppen formieren sich, die Proteste eskalieren. Als der Treck immer näher kommt, tauchen aus dem Nichts radikale, bewaffnete und bestens organisierte „Bürgerwehren“ auf, die vor keinem Gewaltexzess zurückschrecken. Das Buch ist im August 2018 erschienen. Was Vermes hier bezüglich der Radikalisierung, Entschlossenheit und Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen im Lande beschreibt, wirkt bedrückend prophetisch. Die Geschichte steuert dann auf ein gewaltsames Ende zu. Entgegen der klassichen Hollywood-Dramaturgie scheut sich Vermes nicht, seine Protagonisten erbärmlich verrecken zu lassen – anders kann ich es nicht sagen. Am Ende bleibt nur Nadeches Ex-Mann, der ihr Andenken versilbert. Jahre später kommt es dazu, dass Leubls Vision doch noch erfolgreich umgesetzt wird.

Ich habe das Buch mit Faszination und Anteilnahme gehört. In den letzten Kapiteln kippte es für meinen Geschmack zwar von konstruiert, aber glaubhaft, zu bemüht konstruiert. Trotzdem eine erstaunlich unterhaltsame Auseinandersetzung mit den schwierigen Themen Migration und Rechtsextremismus.

Und demnächst rechne ich mit Kirchhoff ab.

Timur Vermes: Die Hungrigen und die Satten. Eichborn, 2018.

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Was für ein larmoyanter Scheiß – warum ich mich schäme, ein alter weißer Mann zu sein

Die Besprechung des Buches kommt noch. Aber die Überschrift ist doch schon mal geil, oder? Aber auch nur zur Hälfte wahr. Ich bin ein alter weißer Mann, aber das macht mir nix aus. Medizinisch ist das bekackt, aber ich schäme mich nicht dafür. Aber Bodo Kirchhoff sollte das tun. Sein Versuch, Holden Caulfield zum Helden einer griechischen Tragödie zu stilisieren, ging so was von in die Hose. Details demnächst. Aber bevor ich Kirchhoff zerlege, muss ich erst noch Vermes rehabilitieren. Sein Hitler-Buch habe ich ja seinerzeit in Grund und Boden verrissen, aber „Die Hungrigen und die Satten“ hat mich begeistert.

Stay tuned!

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Zu Hause im Dschungel

Ende 2019 habe ich mich zur Unruhe gesetzt. Zwei Jahre im Kunstmuseum Stuttgart waren aufregend und spannend, aber am Ende des Tages selbst für mich zu blond. Und außerdem starte ich 2020 in der AK M60, da muss ich auftrainieren! Wer weiß, ob ich in 10 Jahren noch Lust dazu habe. Oder inzwischen irgendeinem Unfug zum Opfer gefallen bin. Im Januar habe ich mich im Fitnessstudio angemeldet und bin dort quasi eingezogen, bis dann Mitte März Schluss mit lustig war. Seither hopple oder radle ich wieder an der frischen Luft, obwohl bei schönem Wetter die Einhaltung von 2 Meter Abstand die Slalomkünste einer Rosi Mittermaier erfordern. Auf dem Neckar-Radweg zwischen Marbach und Ludwigsburg-Hoheneck gibt es zeitweise Blockabfertigung. Mein genialer Plan, die AK 60 aus dem Stand aufzurollen, hat sich damit schon vor Saisonbeginn erledigt. Die anderer Hobbyletten haben dieses Jahr auch Trainings-Kilometer ohne Ende… An den Ruhetagen widme ich mich der Handarbeit. Nach dem Pullover im Muster der Seehasen-Bahn Singen-Radolfzell wurde auch der Regionalbahn-Pullover fertig, bevor der Frühling endgültig ausbrach:

 

Nach dem Ende meiner Karriere als Sesselfurzer hatte ich eine schöne Sammlung an Selbstbindern übrig, für die ich auch schon eine Idee hatte. Im Stoffgeschäft meines Vertrauens kaufte ich einige Meter Futterstoff und Bügelvlies und machte mich an die Arbeit. Den ersten Prototyp schneiderte ich aus zwei Krawatten, um die es nicht arg schade war:

Dilb

Mit der Erfahrung aus diesem Projekt wagte ich mich an die edleren Stücke mit den Dschungel-Motiven. Eines davon habe ich während meiner italienischen Phase in Verona gekauft, das andere während meiner vorgetäuschten Hochzeitsreise in Windhoek. In Wirklichkeit war ich in Windhoek zu einem Vorstellungsgespräch gewesen, das wollte ich meinem damaligen Chef aber nicht auf die Nase binden. Und weil ich in der Woche zuvor geheiratet hatte, habe ich ihm erzählt, wir hätten die Hochzeitsreise gewonnen, die der Regensburger Kaufleuteverband für das schönste Brautpaar des Jahres ausgelobt hatte. (Als ich ein Jahr später gekündigt habe, fragte ich, ob er das denn geglaubt hätte; er sagte ja. Dabei war der nicht mal blond!) Ich hatte allerdings riskiert, dass mein Chef meiner Frau über den Weg läuft, mit der ich vorgeblich am Flittern war. In dem Fall hätte ich mich damit herausgeredet, dass die schon mal in Afrika war…

Die Entstehung der zweiten Weste habe ich in einem „making of“ Video dokumentiert. Unter Verwendung eines Stativs und zweier Kameras im Wechsel (wegen Akkulaufzeit) entstanden knapp 100 Minuten Videomaterial. Weil nach der Kjartansson-Ausstellung kein Schwein den Nerv hat, sich das anzusehen, haben ich nach der Schneider- die digitale Schere angesetzt und weite Teile auf 4-fache Geschwindigkeit beschleunigt. Hier das Werk:

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Ausländer als Ohrwurm

Neulich habe ich von meinen Malaisen mit dem mobilen Blitzer erzählt. Mein erster Anlauf für den ersten Satz war: „Was seh ich, als ich gestern auf der Straße geh?“. Und Zack, der Ohrwurm hatte sich festgesetzt. Es war das Ausländer-Lied von Georg Kreisler. 1963 aufgenommen, wie ich jetzt gesehen habe. Ein launiges Liedchen über den alltäglichen Rassismus. Und leider aktueller denn je. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zeigen immer dreister ihre hässliche Fratze. Aus der niederschwelligen, allgegenwärtigen Antipathie gegen alles Fremde ist knapp 60 Jahre später offen gelebter Hass geworden, der vor immer weniger zurückschreckt und von immer weiteren Kreisen als normal akzeptiert wird (Stichwort: das wird man doch noch sagen dürfen). Statt „Geh doch nach drüben“, der damals beliebten verbalen Keule insbesondere für Kritiker des größten bayerischen Landesvaters aller Zeiten, wirft man liberalen, weltoffenen Menschen heute Todesdrohungen und andere Gewaltphantasien an den Kopf.

Das Lied zeigt in seiner Skurrilität den ganzen Schwachsinn auf, der hinter der selbst gezimmerten xenophoben Weltsicht steht. Das beginnt schon mit der Zuschreibung der Ausländischkeit. Woran hat der Erzähler das festgemacht? Hautfarbe, Haare, Kleidung, Sprache, Accessoires? (Stichwort: Nein, wo kommen Sie wirklich her?). Dann die spontane Reaktion: Schnappatmung ob der Unverschämtheit, dass dieser Mensch existiert; Kernschmelze jeglichen vernünftigen Denkens; abstruser Aktionismus; und am Schluss gibt man dem „Ausländer“ die Schuld für die eigene Blödheit.

Zur Erheiterung und Abschreckung hier der komplette Text:

Der Ausländer
T.u.M. Georg Kreisler
Erschienen 1963 bei Preiserrecords

Was seh ich, als ich gestern auf der Straße geh?
Der Schreck tut mir heut noch weh:
Oh Gott, einen Ausländer!
Er lässt die Leute still an sich vorbei gehn,
Als wollt er sagen: wart, ich werd’s euch zeigen!

Ich bin doch sonst ein ruhiger und beherrschter Mann,
Den nichts irritieren kann –
Außer ein Ausländer.
Als dieser plötzlich weiter ging, da dacht ich: saperlott,
Dem geh ich nach, ich bin doch Patriot!

Das ist wieder typisch!
Er ist doch schließlich nur ein Ausländer, nicht mehr!
Und geht so sorgenfrei,
Als ob er Schweizer sei,
Durch den Verkehr.
Ich muss hinterher!

Das ist wieder typisch!
Er sieht den Leuten, die ihn anschaun, ins Gesicht!
Und wenn er stehen bleibt,
Wie’s ihn gleich weiter treibt,
Den Bösewicht!
Mich bemerkt er nicht.

Vor der großen Kirche auf dem Hügel bleibt der Schurke endlich stehn.
Und er reißt die Augen auf, als hätt‘ er diese Kirche nie gesehn!

Das ist wieder typisch!
Jetzt geht er in die Kirche rein, so ein Sch… kandal!
Obwohl ich Schweizer bin,
War ich noch niemals drin,
Doch dieses Mal –
Bleibt mir keine Wahl.
Fatal!

Ich denke oft des Nachts, während mir das Blut gerinnt:
In anderen Ländern sind
Überhaupt nur Ausländer!
Doch hier versucht sich keiner einzunisten –
Nur im Tessin n‘ paar steinreiche Touristen.

Dafür sind wir auch auf der ganzen Welt bekannt:
Wir sind das einzige Land
Mit ausschließlich Inländern!
Und wenn nicht grad Saison ist und s‘ kommt trotzdem wer vorbei,
Dann schnappt ihn uns’re Fremdenpolizei.

Das ist wieder typisch!
Ich musste lange vorm Hotel auf Wache stehn.
Ich denk, er kommt um acht,
Was glaub’n Sie, was er macht?
Er kommt um zehn!
Ich hab ihn gesehn.

Das ist wieder typisch!
Er hatte nämlich nachts zuvor ein Rendezvous
In einer kleinen Bar,
Doch als er hinkam, war
Die Bar schon zu! Haha!
Na, da gab er Ruh! Hahaha!

Plötzlich spricht er mich an
Und schon nach den ersten Worten war ich platt!
Das war ja gar kein Ausländer,
Das war ein Käufer aus der nächsten Stadt!
Sehn Sie, was man mitmacht!

Das ist wieder typisch!
Da kommt ein Ausländer in uns’re Stadt voll List,
Geht üb’rall aus und ein,
Ich schleiche hinterdrein,
Seh alles, was er macht,
Bleib auf die ganze Nacht,
Geh selber nicht nach Haus
Und dann stellt sich heraus,
Dass dieser Ausländer ein Einheimischer ist!
Ist doch wieder Typhus!
Äh, typisch!

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Blitzermarathon mit Hindernissen

Als Radler ein ordentliches Blitzerfoto zu bekommen, kann ganz schön mühsam sein. Seit Jahren träume ich davon, einmal einen Blitzer in einer 30er-Zone zu erwischen. Und dann das: in Ludwigsburg wurde tatsächlich in einer Straße, wo das fast nicht möglich ist, Tempo 30 ausgerufen und seit drei Tagen steht dort der neue, mobile Hightech-Blitzer. Um das Thema Fahrrad und Tempolimit ranken sich ja so einige Gerüchte: angeblich gelte ein Tempolimit nicht für Rad Fahrende, weil das Fahrzeug nicht zwingend mit einem Tacho ausgerüstet sei, behauptet eines. Was aber, wenn man nachweisen kann, dass der Radler die erlaubte Geschwindigkeit vorsätzlich erheblich überschritten hat, um den Blitzer auch wirklich auszulösen? Ich distanziere mich deshalb ausdrücklich von folgender Vorgehensweise, die ich mir rein hypothetisch in meiner blühenden Phantasie ausgedacht habe:

Aha. Ein Blitzer! Bei Tempo 30. Bergab. Mit dem Rad schafft man das locker. Man muss aber den Autos entsprechend Vorsprung geben, damit die einen in ihrer Panik nicht ausbremsen! Also eine Lücke abwarten, zwei Minuten hyperventilieren, einklicken und losfahren. Mittleres Blatt, großes Blatt, (warum bin ich hier mit dem Trekkingrad unterwegs? Weil ich zu faul bin, wegen so einem Scheiß extra heim zu fahren und das Rennrad klar zu machen), die Ritzel durchgeklickert bis die Kette da ist, wo sie hin gehört: rechts! (Da gehört NUR die Kette hin! [Anm. d. V.]). Tempo und Laktat steigen stetig an. Wo steht denn jetzt der blöde Blitzer? Haben die den abgebaut, während ich Einkaufen war? Das wäre ja eine Infamie besonderen Ausmaßes! Noch 100 Meter bis zur Ampel und ich hänge hinter den regelkonformen PKWs – also zu wenig Vorsprung gegeben. Da steht der Blitzer dekorativ am Straßenrand und macht: Nichts! Was für ein Frust… Geschlagen geben? Niemals! Also umgedreht und den Berg wieder hoch. Was macht man nicht alles für die Gesetzlosigkeit… Diesmal warte ich nach dem letzten Auto extra lange. Inzwischen weiß ich auch, wo der Blitzer steht. (Nicht vergessen: alles in meiner Phantasie). Nochmals die Gänge durchgeklickert und die Pumpe angeworfen. Diesmal krache ich mit Highspeed an dem Gerät vorbei. Sehe aber keinen Blitz. Für einen weiteren Anlauf bin ich zu faul.

Was solls – ich steh zu dem Scheiß, den ich baue! Natürlich hat sich all das nicht in meiner Phantasie, sondern im echten Leben abgespielt… Ich wusste nicht, ob da ein Foto rauskam oder nicht, bei all der Mühe, die ich mir gegeben hatte. Also bin ich auf die facebook-Seite der Polizei Ludwigsburg und habe da schüchtern angefragt (für einen Freund), ob die gegen 14:35 Uhr einen Radler geblitzt hätten. Die erklärten sich aber für nicht zuständig und verwiesen mich an den städtischen Vollzugsdienst. Auf eine Antwort auf meine Mail an Letzteren warte ich noch. Aber wenn das Foto was wird, gebe ich im schlimmsten Fall für ein paar Wochen den Lappen ab. Schließlich habe ich 5-6 Räder 😉 Und das Foto käme prominent auf mein Parship-Profil!

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Widerstand ist zwecklos

Die Versuchung hat das bei mir aufgegeben. Ich spring so schnell auf alles an, das macht gar keinen Spaß mehr…

Mit meinem Umzug nach Stuttgart habe ich mein Mobilitätsverhalten inklusive Fuhrpark radikal verändert. Der größte Einschnitt bestand darin, dass ich schweren Herzens einen Großteil meiner Fahrräder verkaufen musste. Ein üppiges Haus mit zwei Garagen schränkt einen da deutlich weniger ein als eine Etagenwohnung in Stuttgart. Ein Nebeneffekt war, dass ich vor lauter Bargeld aus dem Verkaufserlös eine Zeit lang nicht mehr zum Geldscheindrucker musste und beinahe die Geheimzahl vergessen habe. Das Auto abzugeben war da wesentlich einfacher. Die meisten Strecken fahre ich mit dem alten Fahrrad, zwei Kilometer zur Arbeit, ins Hallenbad genau so weit. Wenn ich doch mal ein Auto brauche, habe ich im Umkreis von 500 Metern mehrere Stadtmobil-Stationen, wo ich für kleines Geld eines leihe. Dazu gibt es noch die Leihräder der Bahn für spontane Spritztouren. Und dann gibt es ein Leihangebot, das für den linksgrünversifften Städter so genial ist, dass ich nur auf einen Vorwand gewartet habe, zuzuschlagen: in Stuttgart kann man Lastenräder ausleihen! Mehrere Geschäfte, die Lastenräder besitzen, haben sich zur Lastenradinitiative zusammengetan und verleihen diese Geräte gegen eine kleine Spende an registrierte Benutzer. Heute habe ich beim Bioladen meines Vertrauens (wo ich seit einer Woche Mitglied bin, aber das ist eine andere Geschichte, die auch mit der Schokoladentour zusammenhängt) ein Yuba Mundo gechartert und habe Gerätschaften aus dem 18 Kilometer entfernten Ludwigsburg abgeholt. Gestartet bin ich voll bester Vorsätze und hab den Motor erst mal ausgestellt. In der Ebene ging das wunderbar, aber an der kleinsten Steigung merkte ich das Gewicht ganz schön. (Das vom Fahrrad, meines bin ich ja gewohnt). Am Fußgängersteg über den Arnulf-Klett-Platz gabs dann eine kleine Panne: die Kette sprang vorne nicht aufs kleine Blatt und ich bin nach 5 Metern jämmerlich verhungert. Irgendein Nasenbär hatte den inneren Anschlag verstellt – ich habs instandgesetzt. Als es aus dem Kessel hinausging, habe ich doch den Akku angeworfen. Ich bin so was ja nicht gewohnt und war dann schwer beeindruckt. Fünf Stufen kann man einstellen. Die erste reichte fürs meiste aus, mit 3 und mehr flog ich die Steigungen nur so hinauf. Unterm Strich läuft es drauf hinaus, dass man bergauf wahlweise etliche (wegen des Gewichts) Gänge runterschaltet oder eben die elektrische Unterstützung einen Ticken hochdreht. Weils pressiert hat, habe ich gern letzteres gewählt. Mit dem Saft aus der Dose kommt man auch bei voller Zuladung zügig von der Ampel weg und kann geschmeidig im Stadtverkehr mithalten, 30 Sachen sind locker drin und bei entprechender Verkehrsdichte kommen die Autos eh nicht wesentlich schneller voran. Von Zuffenhausen zum Pragsattel bin ich auf dem Radweg gefahren. Auf den 1,7 km bin ich an jeder Ampel den gleichen Autos begegnet! Pünktlich um 2 Uhr war ich wieder am Laden und habe das Gefährt schweren Herzens wieder abgegeben. Gerade noch rechtzeitig, bevor ich mich zu sehr an den Motor gewöhnt habe…

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